Von Günther Hilgemann
Burgsteinfurt – „Gottszkys Kluten“ – ist älteren Stemmertern sicher noch ein Begriff. Mit dieser leicht geringschätzigen Bezeichnung waren die Ziegelsteine gemeint, aus denen Hunderte von Burgsteinfurter und Borghorster Häusern gebaut sind. Das Grundmaterial stammte aus der Lehmkuhle – heute Tiggelsee – an der Bohlenstiege. Außer den Ziegelsteinen produzierte Gottszky Unmengen von Dachziegeln, die nach den Bombenangriffen im Frühjahr 1945 die beschädigten Häuser der Stadt wieder eindeckten. Gottszky, ein Name der so recht nicht ins Münsterland passt. Die Burgsteinfurter Ziegelei war bereits 1868 von Christoph Bernard Gottszky gegründet worden. Der kam aus Vreden im Kreis Borken.
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Am 5. August 1623 donnern westlich von „Burcksteinfurt“ in der Gegend des Flögemannsesches die Kanonen bei einer ersten Kampfhandlung (Buchstabe C = starkes Scharmützel) zwischen den katholischen und protestantischen Heeresgruppen. Die Aa ist als breiter Fluss dargestellt. Die Meteler Stiege ist erkennbar, ebenso wie die baumbestandene Straße nach Leer. Gut wiedergegeben ist die Stadtmauer mit den Toren. Bei dem hoch aufragenden Turm kann es sich nur um die 1593 gebaute Hohe Schule handeln. Die schweren Kanonen könnten über die Aabrücke (in der Beschreibung A= erster Pass) am Wassertor durch die Stadt gezogen worden sein. Mit Buchstabe D wird das Braunschweigische Lager bezeichnet, Buchstabe B steht für Tillysche Armee.
Ein gewaltiger Zeitensprung, genau 400 Jahre zurück, bringt Licht ins Dunkel.
Es ist der 5. August 1623. Steinfurt wird plötzlich zum Nebenschauplatz einer der größten Schlachten im Dreißigjährigen Krieg. Im nicht enden wollenden Krieg zwischen den Protestanten und Katholiken versucht die katholische Seite (Liga) die abtrünnigen Protestanten (Union) wieder zu rekatholisieren. Schon 1622 machen die berüchtigten Horden der Mansfeldischen Reiter unsere Gegend unsicher. Ernst Graf von Mansfeld (1580-1626) war ein Söldnerführer, der auf eigene Faust handelte und zwar auf Seiten des bedrohten Protestantismus. Heek, Metelen, Horstmar, Schöppingen, Leer, Nienborg, Ochtrup, Welbergen und Wettringen werden ausgeplündert. Die stark befestigte Stadt Steinfurt lassen die feindlichen Reiter aber links liegen.
Leidtragende sind die Bewohner in den Bauerschaften. Da die Söldner ständig Versorgungsprobleme haben, halten sie sich bei den Bauern schadlos, dreschen das Korn aus, rauben, plündern und nehmen alles mit, was sie bekommen können.
Ein weiterer Kriegsherr der Protestanten, der ebenfalls Söldnertruppen befehligt, ist Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel, der Halberstädter Bischof. Bei der Bevölkerung ist er wegen seiner aggressiven Kriegspolitik gefürchtet, was ihm den Beinamen „toller Christian“ einbringt. Nach den Raubzügen in Westfalen zieht er im Mai 1622 Richtung Main und lässt sich dort bei Höchst am 20. Juni auf eine Schlacht mit dem kaiserlichen Heerführer Tilly ein. Er wird vernichtend geschlagen und will sich ins neutrale Holland retten, um dort neue Heeresgruppen aufzubauen. Mit rund 20.000 Soldaten geht es in Gewaltmärschen Richtung Westen, ständig verfolgt von Graf Tilly mit 22.000 Männern. Bei Greven schlägt Christian am 3. August 1623 ein Übernachtungsquartier auf. Das Dorf wird ausgeplündert und niedergebrannt, die Emsbrücke zerstört. Auf seinem weiteren Fluchtweg werden in Horstmar und Schöppingen hohe Kontributionen erpresst. Kurz vor Burgsteinfurt holt Tilly die Truppen des tollen Christian ein. Hier kommt es am 5. August 1623 zu einem ersten Gefecht. Kaiserliche kroatische Söldner greifen den Feind an, werden aber von dessen Reiterei bis nach Burgsteinfurt zurückgetrieben. Dort erhalten sie Unterstützung von 500 Musketieren und sind nunmehr in der Lage, Christians Reiter abzuweisen. Das zeigt ein zeitgenössischer Stich, der die Stellung der Truppen westlich der Stadt zeigt, also in der Gegend des Flögemannsesch, etwa dort, wo jetzt die Graf-Ludwig-Schule steht.
Tilly schlägt bei einbrechender Dunkelheit unweit von Burgsteinfurt im freien Feld sein Lager auf. Die Armee des Braunschweigers kampiert mit einem Vorsprung von etwa 15 km im sogenannten Strönfeld zwischen Metelen, Heek und Schöppingen.
Die ermüdeten Truppen sollten Kräfte sammeln für den entscheidenden Kampf am nächsten Tage. Diese Schlacht findet bei Stadtlohn an der Berkel statt. Nach Angaben des siegreichen Tilly werden auf feindlicher Seite die 6.000 Soldaten getötet, 4.000 gefangen genommen. Die kroatischen Soldaten seiner Truppen richten unter den Fliehenden ein furchtbares Gemetzel an, woran der Flurname Blutkamp noch heute erinnert.
Jetzt kommt der Offizier Henrikus Jakobus von Gotski – dieser Name ist auf einem heute nicht mehr vorhandenen Wappenstein im früheren Vredener Pastorat zu lesen - ins Spiel. Der aus Posen stammende Adelige kämpft auf Seiten Tillys. Er wird in der Schlacht bei Stadtlohn verwundet, ein Bein muss amputiert werden. Er wird gerettet und kann sich im Vredener Damenstift verstecken. Dort wird er von den adeligen Damen versorgt. Er verliebt sich in eine der jungen Frauen, heiratet sie später und gründet eine Familie. Das ist der Beginn der Vredener Gottszky-Sippe. Urkunden sind bei den großen Stadtbränden in Vreden vernichtet worden. Lediglich die Eheschließung eines Daniel Gottszky kann 1710 in Vreden urkundlich belegt werden.
Ein Bruder des Burgsteinfurter Ziegeleigründers hat um 1890 das Stammschloss der Gottszkys in Polen aufgesucht. Dort findet er das gleiche Wappen wie in Vreden. Von der adeligen Herkunft der Gottszkys ist nichts geblieben. In Burgsteinfurt erinnert die vollgelaufene Lehmkuhle mit dem plattdeutschen Namen Tiggel (Ziegel)-See an die lange Familientradition der Gottszkys.
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Die Ziegelei Gottszky an der Leerer Straße im Jahr 1950. Am linken Bildrand ist im Hintergrund die unverkennbare Teilansicht des damaligen Jungenalumnats, des späteren Kreiskirchenamts zu sehen.
Aus Anlass des 400. Jahrestages der Schlacht bei Stadtlohn wird das Geschehen um die Schlacht bis zum 28. Oktober 2023 in einer großen Ausstellung im Landhaus Eichenhof, Almsick 43 gezeigt. Hier ist unter anderem das Diorama zu sehen, das die Schlacht in einer originalgetreu nachgebildeten Landschaft als historische und volkskundliche Miniaturwelt im Maßstab 1:72 darstellt.
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Im Eichenhof bei Stadtlohn hat der örtliche Heimatverein in einem riesigen Diorama die Schlacht bei Stadtlohn mit Tausenden von handbemalten Soldaten nachgestellt. Hier eine Formation aus Pikenieren und Musektenschützen.