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Willkommen? Hermann Michel kehrt aus Theresienstadt nach Burgsteinfurt zurück

„Willkommen? Hermann Michel kehrt aus Theresienstadt nach Burgsteinfurt zurück“ hat Irmgard Walbaum ihre Arbeit überschrieben. Ihn in das Gedächtnis der Burgsteinfurter Bürger zu stellen und ihm Bedeutung und Ansehen zu geben, ist dabei ihr Anliegen.

Hermann Michel

Die Familie Michel war seit dem 18. Jahrhundert in Burgsteinfurt ansässig. Hermann wurde am 12. März 1877 als erster Sohn des Hausierers Michel Michel geboren und hatte zehn Geschwister. Verheiratet war er mit Franziska Meier aus Hohenlimburg und mit ihren drei Kindern lebten sie im Haus Friedhof 44 (heute Friedhof 14), das dem Bruder Sally Michel gehörte. Dort betrieb Hermann Michel ein kleines Geschäft.

Ab 1933 unterlag er allen antisemitischen Verordnungen und Gesetzen. Mit Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte begann im April 1933 die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, später wurde ihnen untersagt, ein Geschäft oder ein Gewerbe zu führen. Mit Erlass der Nürnberger Gesetze 1935 wurde die Diskriminierung der Juden verstärkt. Es kam zu Beleidigungen, Verleumdungen und Anfeindungen.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zogen SA und SS – begleitet von Burgsteinfurter Bürgern, die Zahlen schwanken zwischen 40 und 120 – „Rache für Paris“ johlend durch die Innenstadt. Sie zertrümmerten von sämtlichen jüdischen Geschäften die Fenster und teilweise die Inneneinrichtung. Die Synagoge wurde in der Pogromnacht verwüstet, aber nicht angezündet, da in dem Gebäude auch eine „Nicht-Jüdin“ wohnte und man angesichts der dichten Bebauung befürchtete, dass angrenzende Häuser Feuer fangen könnten. „Als am nächsten Tag die Wohnung geräumt war und die Feuerwehr bereitstand, um den Schutz der benachbarten Häuser zu gewährleisten, wurde die Synagoge angezündet und brannte bis auf die Grundmauern nieder“, heißt es in der Seminararbeit.

Schon vor der Wannseekonferenz, auf der die Vernichtung der Juden beschlossen wurde, begannen auch in Burgsteinfurt die Deportationen in den Osten. Die jüdische Gemeinde Burgsteinfurt zählte zu diesem Zeitpunkt noch 31 Mitglieder. Im Dezember 1941 wurden 18 Personen nach Riga verschleppt, im Januar 1942 erfolgte die zweite Deportation und am 27. Juli 1942 wurde Hermann Michel zusammen mit seiner Frau Franziska, dem Kaufmann Selig Wertheim, Emilie Gottschalk, Hedwig Feibes, dem Invaliden Isidor Meyer und dem Lehrer und Kantor Hermann Emanuel nach Theresienstadt deportiert. Hermann Michel überlebte als Einziger von ihnen und kehrte nach drei Jahren Haft zurück.

 
Irmgard Walbaum. Foto: Menebröcker  

Seine offizielle Anmeldung in Burgsteinfurt erfolgte am 16. Juli 1945. Die Stadt Burgsteinfurt kümmerte sich um: Er wurde im katholischen Krankenhaus untergebracht und dort versorgt. Doch Michel gab sich nicht damit zufrieden und forderte bereits im Juli 1945 die Rückgabe seiner persönlichen Sachen und in Vertretung der Interessen seines verstorbenen Bruders Sally und des ebenfalls verstorbenen Selig Wertheim die Rückgabe bzw. Schadensersatz für das Vermögen, das das Deutsche Reich nach der Deportation eingezogen hatte. „Er zwang durch seine Anträge die Behörden, deren Mitarbeiter geholfen hatten, ihn und die übrigen jüdischen Einwohner auszurauben, sich mit dem Unrecht zu beschäftigen“ so Irmgard Walbaum in ihrer Forschungsarbeit. Aber es gab 1945 noch keine Gesetze, wie die Rückgabe der Güter erfolgen sollte, und auf Anordnung der Briten wurden die Vermögen gesperrt. Erst später wurden „Rückerstattung“ und „Wiedergutmachung“ gesetzlich geregelt. Die dann eingeleiteten Verfahren verliefen nicht ohne Auseinandersetzungen und zogen sich über mehrere Jahre hin, im Fall von Hermann Michel über seinen Tod hinaus.

Als „Opfer der Naziunterdrückung“ erhielt Hermann Michel eine Rente, die sog. Beschädigtenrente, und auch eine Haftentschädigung wurde ihm zugesprochen, so dass er über etwas Geld verfügte. Seine Tuberkulose musste immer wieder in Krankenhäusern behandelt werden und schränkte ihn stark ein. Dennoch kümmerte er sich um die Instandsetzung und Pflege des jüdischen Friedhofs und sorgte für die Errichtung eines Gedenksteins am Platz der Synagoge in der Kautenstege, der im Juni 1950 aufgestellt wurde.

Wie die Bürger Burgsteinfurts mit dem Rückkehrer umgingen, lässt sich nicht genau sagen. „Unter dem Schutz der Briten stehend, erhielt Hermann Michel als Opfer des Nationalsozialismus eine Vorzugsbehandlung, was Nahrungsmittel, Wohnraum und medizinische Versorgung betraf. Das zu akzeptieren, fiel sicherlich den Bürgern schwer, sahen sie sich doch selbst als Kriegs- und Bombenopfer. Die Situation dürfte sich zugespitzt haben, als Hermann Michel seinen konfiszierten Besitz, Möbel, Hausrat und Kleidung zurückforderte und Wohnraum im Haus Bütkamp 23 beanspruchte und auch erhielt“, so Irmgard Walbaum in ihrer Arbeit weiter.

Michel sei wieder Bürger mit allen Rechten gewesen, aber nicht Mitbürger und Teil der Stadtgesellschaft geworden, denn die nichtjüdischen Burgsteinfurter litten gemeinsam unter den Folgen des Krieges und arbeiteten gemeinsam für einen Neuanfang. „Zur neuen Wertegemeinschaft hatte Hermann Michel keinen Zugang, denn er verfolgte andere Ziele und schaute zurück auf das ihm zugefügte Unrecht. Er blieb ein Ausgegrenzter“, so Walbaum weiter.

Die Stadt sei ihrer Verantwortung nachgekommen und habe den alten und kranken Mann versorgt. Unstrittig ist für sie aber auch, dass es die Besatzungsbehörden waren, die dafür sorgten, dass die Opfer des NS-Systems korrekt behandelt wurden.

Hermann Michel lebte noch sieben Jahre in Burgsteinfurt. Er starb am 30. Januar 1952 und wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Gerichtsstraße beigesetzt.